„Geht ein Hedonist zum Discounter und kauft Waschpulver“
Über unerwartete Verhaltensweisen von Individuen, Vorhersagen von und Überraschungen bei Entscheidungen – Interview mit Manfred Tautscher, SINUS-Institut Heidelberg
Herr Tautscher, Sie sind seit 2009 Gesellschafter und Geschäftsführer der SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH.
Wie erklären Sie jemand, der noch nie von SINUS-Mileus gehört hat, wofür diese gut sind und wer sie verwendet?
Manfred Tautscher: Die Sinus-Milieus sind ein Gesellschafts- und Zielgruppenmodell, das Menschen nach ihren Lebensstilen und Werthaltungen gruppiert. Sie liefern ein wirklichkeitsgetreues Bild der soziokulturellen Vielfalt in Gesellschaften, indem sie die Befindlichkeiten und Orientierungen der Menschen, ihre Werte, Lebensziele, Lebensstile und Einstellungen sowie ihren sozialen Hintergrund genau beschreiben.
Mit den Sinus-Milieus kann man die Lebenswelten der Menschen somit „von innen heraus“ verstehen, gleichsam in sie „eintauchen“. Mit den Sinus-Milieus versteht man, was die Menschen bewegt und wie sie bewegt werden können. Denn die Sinus-Milieus nehmen die Menschen ganzheitlich wahr, im Bezugssystem all dessen, was für ihr Leben Bedeutung hat.
Unternehmen suchen für ihr Marketing nach Vorhersagen über das Verbraucherverhalten.
Mit welcher Sicherheit lässt sich ein bestimmtes Verhalten einer Gruppe zuordnen, z. B. der Kauf von Bio-Produkten durch die „Bürgerliche Mitte“ (Sinus B23)?
Manfred Tautscher: Wir können darstellen, welche Milieus überproportionales Interesse für Bio-Produkte haben, und bieten auch Erklärungen für Motive, Bio-Produkte zu kaufen. Geht alles sehr gut. Und ja, die „Bürgerliche Mitte“ ist eine wichtige Zielgruppe für Bio-Produkte.
Welche Rolle spielt bei SINUS das Thema Ambivalenz?
Anders gefragt: Wenn ein „Hedonist“ (Sinus C2) zum Discounter geht, um das günstigste Waschpulver zu kaufen, irritiert Sie das?
Manfred Tautscher: Nein, überhaupt nicht – ist auch überhaupt keine Ambivalenz, gerade Hedonisten sind eine wichtige Zielgruppe für Diskounter.
Big-Data kann auch viel Unsinn erzeugen
Nun zum Onlinemarketing.
Hier geht es um die Formel [Trifft zu vs. trifft nicht zu]. Kalkuliert und hochgerechnet wird in den Suchsystemen vieles auf der Basis funktionaler Entsprechungen, mit Hilfe von Nullen und Einsen.
Liegen Algorithmen systembedingt nicht häufig falsch, wenn sie das ambivalente, oft widersprüchliche Verhalten von Menschen interpretieren?
Manfred Tautscher: Das ist sehr häufig der Fall; Big-Data kann auch viel Unsinn erzeugen.
Nehmen wir das Suchergebnis bei der Anfrage „kapitallebensversicherung“ Ende November 2017.
Google bietet fast ausschließlich Verkaufslinks an, sowohl bei Suggest als auch in der generischen Suche. Den Suchenden wird also direkt das Interesse an einem Abschluss unterstellt. Kein Hinweis auf die Nachteile dieser Anlageform.
Wie wirkt sich das Weglassen von Informationen auf Entscheidungen aus?
Manfred Tautscher: Unterschiedlich – Menschen, die Nachteile suchen, haben inzwischen gelernt ihre Suche von Anfang an genauer zu spezifizieren.
Betrachten wir die Sinus-Mileus.
Welche Gruppen sind eher dazu bereit, einer Empfehlung oder einem vorgefilterten Ergebnis zuzustimmen?
Manfred Tautscher: Performer, Expeditive, Adaptiv-Pragmatische und auch Hedonisten.
Search-Intent.de: Vielen Dank für dieses Interview.
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